Die Ablasstradition
Als im Jahr 1639 der Kreuzweg Christ errichtet und einige Kapellen gebaut wurden,verlieh im Jahre 1644 Papst Urban VIII. einigen Kapellen einen Ablass. Als aus Rom nach Žemaičių Kalvarija das im Jahre 1643 zum Gnadenbild erklärte Bildnis der allerheiligsten Jungfrau Maria mit dem Jesuskind gebracht wurde und später eine neue Kirche der Heimsuchung der allerheiligsten Jungfrau Maria erbaut wurde, wuchs der frühere Ablass zum alljährlich vom 2. -12. Juli begangenen Ablass der Heimsuchung der allerheiligsten Jungfrau Maria oder Großen Ablass von Žemaičių Kalvarija.
Denn an dem Sonntag nach dem 2. Juli wurde in die Kirche von Žemaičių Kalvarija im Jahre 1649 aus dem Dominikanerkloster in Lublin die Kreuzesreliquie übertragen. Seit dieser Zeit ist dieser Sonntag der Hauptablasstag - der große Kalvarienablass. Die Kirche der Heim-suchung der allerheiligsten Jungfrau Maria wurde zum zentralen Ort des Kreuzwegs von Žemaičių Kalvarija: von hier aus ziehen die Prozessionen der Wallfahrer aus, um die Kreuz-wegstationen zu besuchen und hierher kehren sie auch wieder zurück.
Der Maria Heimsuchungsablass wurde besonders im XVIII. Jahrhundert berühmt. Wesentlich trug zur Popularisierung des Ablasses auch der Bischof Niederlitauens Antanas Tiškevičius (1692–1762) bei, der im Jahre 1748 die Pfarrer der umliegenden Pfarreien ermunterte, Fahrten zu dem großen Ablass von Žemeaičių Kalvarija zu organisieren. Zum Ablass zogen riesige Gruppen mit Kirchenliedern, Flöten sowie Pfarrei – und Kirchenfahnen. Der Ansturm der Wallfahrer wurde so groß, daß auch die im Jahre 1750 erbaute Kirche mit 24 Altären nicht mehr ausreichte: die Priester schafften es nicht mehr alle Messen zu feiern, für die Intentionen gespendet worden waren. Daher wurde beschlossen, eine noch geräumigere steinerne Kirche zu erbauen, die im Jahre 1822 emporschoß.
In den Jahren des zaristischen Drucks strömten nach Žemaičių Kalvarija Menschenmengen aus den verschiedensten Pfarreien Litauens und sogar von jenseits der Grenzen Litauens. Prozessionen zum Kalvarienberg zogen von Sonnenaufgang bis zur Dämmerung, dann unter Kerzenlicht. Obwohl es auch Versuche gab, den Ablass zu stören, verlief der Ablass doch meist ruhig, denn die zaristischen Beamten bemühte sich sehr, die allgemeine Ordnung aufrecht zu erhalten.Der große Ablass zu Maria Heimsuchung wurde das wirkliche geistliche Zentrum von Niederlitauen .
In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg trugen zur Organisation des Ablasses besonders die seit dem Jahre 1927 hier ansässigen Marioner bei. In diesem Zeitraum strömten zu dem großen Ablass 30–50 000 Menschen. Die Marioner bemühten sich, die Traditionen und Wallfahrtsbräuche zu bewahren, sie führten in Žemaičių Kalvarija aber auch neue, sich schnell verbreitende Bräuche ein. Dank ihrer gewaltigen Arbeit und Anstrengungen ver-breitete sich der Ruhm von Žemaičių Kalvarija auch außerhalb der Grenzen Litauens. Im Jahre 1939 wurde feierlich das 300 – jährige Jubiläum der Gründung des Kalvarienbergs begangen. Nach Berechnungen der Marioner besuchten in diesen 300 Jahren ungefähr sechs Millionen Menschen Žemaičių Kalvarija.
In den Jahren der sowjetischen Okkupation wurde auf verschiedenste Weise versucht, die Feier des Ablasses zu behindern. Die Sowjetmacht verbot die Prozessionen, erlaubte kein Glockengeläut, schränkte in der Zeit des Ablasses die Einfahrt in das Städtchen ein, um die Menschen zu behindern. Man organisierte weltliche kulturelle Massenveranstaltungen (in Plateliai fanden zur gleichen Zeit sogenannte Festivals statt), manchmal gebrauchte man sogar Mittel physischer Gewalt. Pfarrer anderer Pfarreien und andere Priester durften ohne eine spezielle Erlaubnis der Machthaber hier nicht die hl. Messe feiern. Aber solche Erlaub-nisse wurden nur ein oder zwei Priestern gegeben. Mit Drohungen und Strafen versuchte man häufig nicht nur das Ablassfest selbst, sondern auch das Begehen des Kalvarienberges zu behindern. Im Jahre 1962 versuchte man, die Kapellen niederzureißen. Da aber die Pfarrei-mitglieder wochenlang Tag und Nacht Wache hielten, gelang es, die Kapellen zu retten. Im Jahre 1982 fand der Ablass statt, obwohl die sowjetische Miliz und Armeeeinheiten Wache hielten und die Gläubigen und Priester verfolgten.
Auch nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit blieb dasHeiligtum der allerheiligsten Jungfrau in Žemaičių Kalvarija eines der wichtigsten geistlichen Zentren Litauens.In der heutigen Zeit bekommt der Ablass einen neuen Aspekt – jeder Tag ist einem bestimmten Dekanat des Bistums Telšiai bestimmt oder aber einem bestimmten Beruf, einer bestimmten Gesellschaftsschicht oder Altersgruppe. An jedem Tag beten die versammelten Wallfahrer in einer anderen wichtigen Intention - für das Vaterland, um Abstinenz, für die Kirche, um geistliche Berufungen und anderes mehr.