Das Bild der Mutter der Barmherzigkeit
Neueste Forschungen haben ergeben, daß das Bildnis der Mutter der Barmherzigkeit um 1620 -1630 herum geschaffen wurde nach einer Vorlage des niederländischen Malers der zweiten Hälfte des XVI. Jahrhunderts Martin de Vos (1532–1603), wahrscheinlich in Anlehnung an eine 1580 durch Thomas de Leu (1560–1612) geschaffene Gravur. Das Bild ist auf eine aus acht Brettern geklebten Eichenholzplatte gemalt Die Malschicht ist auf auf eine dünne Kreidegrundierungsschicht aufgetragen (was für die Malerei Nordeuropas typisch war). Die Art der Malerei läßt die Vermutung zu, daß das Bildnis in Vilnius geschaffen wurde.
Das Bildnis von Aušros Vartai ist reich an Deutungen. In ihm kann man sowohl die Jungfrau, die die Worte des Engels vernimmt, sehen, als auch die Mutter der Barmherzigkeit, die an ihrem Herzen die sündigen Menschen birgt. Die Sonne, die Sterne und der Halbmond des Umhangs sind Attribute der Unbefleckten Empfängnis, die ein Übermaß der göttlichen Gnaden bedeuten. Das mit der Symbolik des Umhangs verbundene Bildnis erinnert an den Typus von Bildnissen der allerseligsten Jungfrau, die Tota pulchra genannt wird. Die allerseligste Jungfrau Maria wird hier dargestellt als Beginn der neuen allein durch Gottes Gnade gerechtfertigten Schöpfung und als höchstes Ideal aller Christen.
Anfänglich war dasBildnis der allerseligsten Jungfrau Maria ohne die Metallummantelung aufgehängt. Die Verehrung von Heiligenbildern durch den Schmuck mit Kleidung und Kränzen aus Edelmetallen ist eine alte Tradition Litauens und Polens, die vielleicht infolge eines orthodoxen Brauchs entstanden ist. Man nimmt an, daß man nach dem Jahr 1670 anfing, das Bildnis von Aušros Vartai mit vergoldeten Silberblech zu umkleiden. Die Bleche sind mit Blumenmotiven getrieben.
Maria ist mit zwei Kronen gekrönt. Die untere Krone ist vergoldet aus einer Kupferlegierung getrieben und datiert um das Jahr 1700. Die obere vergoldete Silberkrone ist mit farbigen Glasgrannen geschmückt, geschaffen um das Jahr 1750. Am 5. Juli 1927 wurde das Bildnis durch neue von Papst Pius XI. geweihte Kronen gekrönt. Das war eine genaue Kopie der alten Kronen, angefertigt aus den dafür von den Menschen gespendete Gold. Der Muttergottes von Aušros Vartai wurde der Titel Mutter der Barmherzigkeit verliehen. Das Schicksal der vom Papst geweihten Kronen ist unbekannt. Offensichtlich wurden sie bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verborgen und später wußte niemand mehr, wo sie zu suchen sind.